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Woher kommt und wohin geht der Mensch?
Der Regard protestant von Karl-Georg Marhoffer (25.11.2018)
Kaum eine Jahreszeit erinnert deutlicher an den Tod als der Herbst. Blätter fallen, Blumen verwelken, Frost bringt alle Pflanzen zum Erliegen. Die Tiere in der Natur suchen Unterschlupf, um sich vor der Härte des herannahenden Winters zu schützen.
Viele Menschen suchen nun die Wärme im Haus bei einer schönen heißen Tasse Kaffee oder Tee. Gleichzeitig nimmt das Tageslicht ab und unser Gemüt verfinstert sich. Feiertage wie Allerheiligen, Allerseelen und Ewigkeitssonntag, auch Totensonntag genannt, erinnern uns an das Ende des Lebens, denn der Tod gehört zu unserem Leben wie die Geburt. Der Tod ist Bestandteil unseres Lebens und zwingt zur Auseinandersetzung mit ihm und was danach kommt, dem Paradies.
Die Vorstellung eines überirdischen Wonnegartens, in dem die Götter wohnen und die Verstorbenen selig sind, kennen nicht nur die orientalischen Kulturen. Dort jedoch ist eine an Wasser und Bäumen reiche Oase der Inbegriff von heilem Lebensraum. Das aus dem Altiranischen stammende „pairi daeza“ hat bis in die Gegenwart nichts von seiner Verlockung eingebüßt. Die „Paradiese“ scheinen sich gar zu vermehren, wenn man den Reiseunternehmen Glauben schenken darf: Ferienreisende, Einkaufswillige und Steuerflüchtige finden je das ihre. In der Bibel beginnt der ältere Schöpfungsbericht mit dem Garten Eden. Der Anfang hat etwas Paradiesisches – an Neugeborenen und Verliebten haftet ein Hauch davon. Doch die Lust an Erkenntnis vertreibt die Menschen aus dem Garten, und ein Schwertengel versperrt den Rückweg. Kann der Verlust rückgängig gemacht werden?
Bei den Propheten taucht die erlösende Vorstellung auf, Gott mache die Wüste einst wieder fruchtbar wie Eden. Das endzeitliche Paradies inspiriert seit über 2000 Jahren auch die Apokalyptiker. Und Ähnliches verheißt Paulus, der Jesus als zweiten Adam deutet. Allweihnachtlich singen wir deshalb: „Heut schließt er wieder auf die Tür zum schönen Paradeis, der Cherub steht nicht mehr dafür ...“ (EG 27,6/Mag 134).
„Paradies“ ist eine transzendente Antwort auf die Fragen: Woher kommt und wohin geht der Mensch? Die Unendlichkeit oder das Absolute sind unvorstellbare Dimensionen. Im Bild eines Gottesgartens werden sie anschaulich. Obwohl das Paradies ein Geheimnis bleibt, warum nicht schon jetzt und hier (mit Dorothee Sölle) den Himmel erden und Gott träumen?
Quelle: Luxemburger Wort