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Oktav 2020 online . Octave 2020 en ligne  
27. April 2020

Oktave 2020 – anders als all die Jahre

Warum die Oktave für uns in der Corona-Pandemie not-wendig und not-wendend ist

Geht es Ihnen nicht auch so, dass mit der Muttergottesoktave Kindheitserfahrungen in uns aufsteigen? Viele haben die Oktave seit ihrer Kindheit aus nächster Nähe miterlebt. So konnte ich unmittelbar erfahren, wie die Kirche als pilgerndes Gottesvolk mir den Zugang zur Verehrung der Muttergottes als Trösterin der Betrübten durch die bekannten Lieder und die Atmosphäre in der Kathedrale Glaubensfreude ins Herz gelegt wurde. Was mich bis heute beeindruckt ist die Tatsache, dass viele stille Beter mit ihren Anliegen und Sorgen vor dem Gnadenbild der Trösterin knien. Die Kathedrale – besonders während der Oktave – ist und bleibt ein kraftvoller Ort, der viele Menschen anzieht.

Aber dieses Jahr 2020, in dem wir das 150. Jubiläum unserer Diözese feiern, kann die Oktave durch die derzeitigen Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus nicht unter der jeweiligen Form stattfinden. Das ist schade und tut weh. Aber mit Klagen kommen wir nicht weiter. Vielmehr sind wir aufgerufen, das Beste aus der Situation zu machen. Wir haben allerdings die Möglichkeit, dass wir online geistlich im Gebet verbunden sind.

Das Coronavirus hat es fertig gebracht das öffentlicher Leben still zu legen. Der kleine virulente Coronavirus gibt uns zu verstehen, wie endlich, begrenzt und zerbrechlich unser Leben ist. Diese Krise ist deshalb eine große Herausforderung an uns alle, unsere Lebensprioritäten zu überdenken. Hand aufs Herz: Haben wir uns nicht allzu selbstsicher daran gewöhnt, dass wir durch unser hyperaktives Machen und durch die Technik alles bis jetzt im Griff hatten? Aber durch so einen kleinen Virus, der sein Unwesen in der ganzen Welt treibt, kann das Leben aus den Fugen geraten. Wer hätte das gedacht? Könnten wir diese Zeit zum Anlass nehmen, uns neu mit der Verletzlichkeit unseres Lebens zu besinnen? Viele haben sich längst angewöhnt, sich im Leben auf das zu verlassen, was materiell, sichtbar und greifbar ist. Nun aber hat ein unsichtbarer Virus eine so zerstörende Energie entfaltet und uns gezeigt , dass wir unsere Machtlosigkeit schmerzlich erfahren. Wäre es da nicht angezeigt, uns vermehrt auch am Nicht- Materiellen und Nicht- Sichtbaren zu orientieren. Denn viel Gutes ist nicht sichtbar und möchte doch in uns weiterwirken.

Letztendlich bringt das Virus es nicht fertig Gott zu vernichten. In dieser Zeit ist es wichtig, das wir unseren Glauben an Gott hoch und heilig halten. Die Verehrung der Trösterin der Betrübten ist der beste Beweis, dass der christliche Glaube mehr als über 300 Jahre Trost und Kraft geschenkt hat und auch weiterhin für Gegenwart und Zukunft uns eine Perspektive von Hoffnung schenkt. Aus diesem Grunde kann die Oktave nicht abgeschafft werden. Allerdings sieht dieses Jahr ihre Ausdrucksweise den Umständen entsprechend anders aus. Wenn wir nicht in die Kathedrale pilgern können, so bleibt doch die spirituelle Suchbewegung bestehen und die Tatsache, dass wir „Zesumme Kierch sinn“, wie das diesjährige Oktavthema zum 150. Jubiläum der Diözese heißt, nichts an Aktualität eingebüßt hat.

Pilgern – Unterwegs zum Wesentlichen

Wenn wir pilgern, dann lassen wir nicht nur etwas los, sondern haben auch ein Ziel. Dieses Jahr lassen wir viel los. Wir müssen uns gewollt und ungewollt auf Einschränkungen einlassen. Aber die Tatsache, dass wir „Zesumme Kierch sinn“ und mit Maria, der Trösterin der Betrübten auf das Ziel zugehen, das letztlich Gott ist. Sollten wir nicht diese Weltkatastrophe als traurige Chance zur Besinnung und Neuorientierung des Lebens verstehen!

Gott sei Dank ist menschliche Hilfe für die von Corona betroffenen Menschen groß! Solidarität ist mehr als ein Wort. Solidarität ist Leben! Wir brauchen uns mehr als wir ahnen. „Zesumme Kierch sinn“ ist nicht bloß das Thema der diesjährigen Oktave, sondern benennt treffend das Leitmotiv für gelebtes Christentum in bedrängten Zeiten. In Krisenzeiten bewähren sich Parolen – oder auch nicht!

Christliche Gemeinschaft – trotz körperlichem Abstand

Für viele ist es eine schmerzliche Erfahrung, sich durch die notwendigen Bestimmungen während der Coronakrise nur auf Abstand begegnen zu können. Gerne möchte man Menschen umarmen und ihnen durch Nähe Verbundenheit, Zärtlichkeit und Menschenfreundlichkeit zeigen, um mit ihnen Freude und Leid zu teilen. Es geht nicht darum, die Situation passiv hinzunehmen oder halt zähneknirschend in Kauf zu nehmen. Die Benediktinerregel birgt eine zeitüberdauernde Weisheit, die auch heute in der Coronakrise wertvolle Impulse geben kann. Da ist die Rede von „umarmen“, in der extrem schwierigen Situation der Einsamkeit. Gerade dann wenn es keinen Ausweg in harten und widrigen Situationen gibt, soll der Mönch „schweigend bewusst die Geduld umarmen“ (vgl RB 7,35). Der heilige Benedikt präsentiert die Geduld als Person: die Geduld bewusst, leiblich berühren, umarmen und festhalten. Warum? Benedikt weiß sehr wohl, dass ohne Geduld die Realität des geistlichen Lebens schnell zur Entmutigung und Resignation führen kann. In der umarmten Geduld, ohne die Situation resignativ oder stoisch anzunehmen, kann ich Gott begegnen. Maria, die wir als Trösterin der Betrübten verehren, zeigt auf Jesus und schaut auf ihn, der in der Situation des Leidens aushält und nicht davonläuft.

Aber ist solche Haltung für uns möglich? Werden wir nicht durch die biblischen Begriffe „aushalten“ oder „standhalten“ überfordert? Im 1. Korintherbrief 13,7 schreibt Paulus von der „Liebe, die allem standhält“. In Situationen, wo wir am liebsten davonlaufen würden, sollten wir trotzdem nicht flüchten, um eine gewisse Stabilität zu bewahren, die uns letzten Endes allen gut tut. Und wohin sollten wir dann auch flüchten? Die Worte aus dem Johannesevangelium 6,68 schenken auch uns Klarheit und Hilfe: „Herr, zu wem wem sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens.“ Flucht ist niemals eine Lösung. Die Benediktinerregel lädt ein die Geduld zu umarmen, d.h. sich nicht gehen zu lassen, sich nicht aufzugeben und trotz allem aufrecht zu bleiben, weil Gott die Liebe ist, die unser Leben letztlich trägt und die Situation erträglich macht und schließlich auch in der schwierigen Zeit hindurch tragen kann.

In der gegenwärtigen Zeit können Glaubenszeugnisse aus noch dramatischeren Umfeld ermutigen. Etty Hillesum, eine jüdische Frau, die 1943 in Auschwitz umgebracht wurde, versucht in ihrem Tagebuch mit dieser lebensgefährlichen Situation gläubig umzugehen. Sie notiert die Grausamkeiten der Nazis, die sie erlitten hat: „Aber ich schließe mich davor nicht in meinem Zimmer ein, Gott, ich halte die Augen offen und will vor nichts davonlaufen, sondern versuche, auch die schlimmsten Verbrechen irgendwie zu begreifen und zu ergründen… Ich stehe Auge in Auge mit deiner Welt, Gott, und flüchte mich vor der Realität nicht in schöne Träume – obwohl ich glaube, dass auch neben der grausamen Realität noch Platz für schöne Träume ist – ich preise weiterhin deine Schöpfung, Gott trotz allem!“… „Die Bedrohung von außen wird ständig größer, der Terror wächst mit jedem Tag. Ich ziehe das Gebet wie eine dunkle, schützende Wand um mich hoch, ziehe mich in das Gebet zurück wie in eine Klosterzelle und trete dann wieder hinaus, ‚gesammelter‘, stärker und wieder gefasst.“… „In mir gibt es einen tiefen Brunnen. Und darin ist Gott. Manchmal ist er für mich erreichbar. Aber oft liegen Steine und Geröll auf dem Brunnen und dann ist Gott begraben. Dann muss er wieder ausgegraben werden.“ Das letzte schriftliche Zeugnis von Etty Hillesum auf einem Zettel, das sie aus dem Güterwagen geworfen hat, als man sie in Richtung Auschwitz abtransportierte. „Ich schlage die Bibel an einer willkürlichen Stelle auf und finde: ‚Der Herr ist meine Burg!‘ Ich sitze mitten in einem überfüllten Güterwagen auf meinem Rucksack“ (aus Etty Hillesum, Das denkende Herz der Baracke, S. 156 f).

Das Coronavirus zwingt uns mit der aktuellen Situation auseinanderzusetzen, dass vieles, was wir für selbstverständlich halten, nicht selbstverständlich sein muss. Wer hätte gedacht, dass die Oktave 2020 nicht in ihrer gewohnten Gestalt stattfinden würde? Niemand hatte eine bloße Ahnung, dass wir durch hygienische Vorsichtsmaßnahmen nicht an einer Eucharistiefeier teilnehmen würden.

Kirche als Familie und Familie als Hauskirche

Als Mutter Teresa am 11. Dezember 1979 den Friedensnobelpreis in Oslo erhielt, wurde sie gefragt, was man als normaler Bürger für den Frieden in der Welt tun könne. Ihre Antwort schlicht und einfach: „Geh nach Hause und liebe Deine Familie“. Die momentane Pandemie weist uns nicht bloß auf den Virus, sondern auch auf die Krankheit von Gesellschaft und Kirche hin. Das Thema der Oktave weist auf den Zusammenhang hin, dass Kirche und Familie so eng zusammengehören: Kirche selbst versteht sich als Familie und die Familie als Grundzelle von Kirche und ist im diesem Sinn Hauskirche. Nicht die Kirche aus Steinen ist entscheidend, sondern die Kirche, die aus Menschen besteht, die sich in den lebendigen Bau der Kirche einfügen. In der Coronazeit hat die Devise von Augustinus nichts an Aktualität eingebüßt – im Gegenteil: „Christen sind von der Liebe geformt und untereinander von der Liebe geeint“ (Sermo 336).

In dieser Ausnahmesituation versucht die Kirche mit gläubiger Phantasie Wege zu finden, dass die Oktave im Herzen der Gläubigen bewusst bleibt. Die modernen Kommunikationsmittel ermöglichen ohne weder in rein säkularem Pragmatismus noch in naive Gläubigkeit zu fallen, um positiv die Kreativität des Glaubens frei zu legen. Wir können dankbar sein für alle geistliche Impulse und Anregungen zum Gebet. Das Gebet wurde während all den Jahren während der Oktavzeit intensiv praktiziert – und auch dieses Jahr hat das Gebet einen besonders hohen Stellenwert. Und das ist auch gut so! Vergessen wir in unseren Gebetsanliegen nicht die Ärzte, Helfer und ermutigen wir jeden, der sich in den Dienst des Nächsten stellt.

Die kirchliche Tradition hat in den Seuchen mehr als eine medizinische, hygienische, technische und politische Herausforderung gesehen. In allen Bedrängnissen erhoben Menschen ihre Notschreie zu Gott. Der Volksmund bringt es auf die knappe Formel: „Not lehrt beten“. Covid-19 nötigt Christen Gott anzuflehen, um den Glauben in uns zu stärken und ihn nicht aussterben zu lassen.

Wir brauchen die Oktave besonders auch in Zeiten der Bedrängnis. Wenn es uns schlecht geht, neigen wir dazu, auf uns selbst zurückzufallen. Wir kreisen um uns selbst, murren und jammern und kommen dadurch nicht weiter. Im Jammern und Murren liegen niemals die Lösung,denn sie sind kontraproduktiv. Die Oktave will uns letztendlich ermutigen, den „Glauben als alle Art von kopernikanischer Wende erlernen. Kopernikus entdeckte, dass sich nicht die Sonne um die Erde dreht, sondern dass diese Erde mit den anderen Planeten, die Sonne umkreist. Jeder von uns sieht sich zunächst wie eine kleine Erde an, um die alle Sonnen kreisen müssen. Der Glaube lehrt uns, aus diesem Irrtum heraustreten und geschwisterlich mit allen anderen zusammen gleichsam in den Reigen der Liebe um die eine Mitte einzutreten – um die Mitte, die Gott ist“ (Josef Ratzinger, Gesammelte Schriften Band 4, Einführung ins Christentum,S. 483). Seien wir dankbar, dass die Kirche uns durch die Oktave immer wieder einlädt Kraft und Trost aus der Schönheit des Glaubens zu vermitteln.

Théo KLEIN s.c.j.
 
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