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Gotthard Fuchs: Vom Göttlichen berührt. Mystik des Alltags
Religiöses Buch des Monats März 2017
Für Spiritualität interessieren sich heute nicht wenige Menschen – Mystik aber gilt den meisten dann doch als religiöse „Meisterleistung“, die nur ganz wenigen vorbehalten ist, als eine besondere Erleuchtung, die nur Einsiedlern oder strengen Asketen zuteil wird. Da täuscht man sich aber, sagt Gotthard Fuchs, der sich schon seit Jahrzehnten intensiv mit Mystik beschäftigt, in seinem neuen Buch „Vom Göttlichen berührt“. Mystik ist keineswegs ein elitärer Sonderweg, der nur großen Heiligen zugänglich wäre.
In jedem Menschen wohnt eine tiefe Sehnsucht, die mehr will als das bloß Alltägliche. Mystiker versuchen nun aber gerade nicht, das Alltägliche abzuwerten, um jenseits dessen irgendwelche grandiosen religiösen Erfahrungen zu machen. Vielmehr zielen sie darauf ab, eben den Alltag selbst auf das Göttliche hin zu durchbrechen.
Dabei geht es nicht darum, jedem alltäglichen Vorgang unbedingt Tiefsinn verleihen zu wollen, vielmehr soll die Gegenwart Gottes auch im Alltag erfahrbar werden. Dafür ist es entscheidend, ein Bewusstsein eines größeren Zusammenhangs zu entwickeln, der alles trägt, durchdringt und bestimmt. In diesem Bewusstsein gelingt es einem mystischen Menschen, auch im Alltäglichen immer wieder zu entdecken, dass das scheinbar Selbstverständliche gar nicht so selbstverständlich, sondern eigentlich ganz wunderbar und geheimnisvoll ist.
So betrachtet kann man eben auch in wirklichen Alltäglichkeiten Gottes Gegenwart entdecken und bestaunen – vom morgendlichen Erwachen über das Ankleiden und Essen bis zur Langeweile und dem Aufräumen. Natürlich lässt sich Gott auch in den Begegnungen mit anderen Menschen finden, schon in der Art und Weise, den Anderen überhaupt wahrzunehmen und zu begrüßen, im Interesse und Mitgefühl füreinander, aber auch in der anfänglichen Reserviertheit gegenüber Fremden, die dann überwunden wird. Dem Gläubigen scheint Gott auch in der Schöpfung auf, in der Schönheit der Natur und des Sternenhimmels oder auch in den Naturgewalten.
Ein mystisches Bewusstsein wird immer auch dahin gelangen, den Tod in der Welt wahrzunehmen, sich auf den eigenen Tod vorzubereiten und im vertrauensvollen Glauben an Gott eine Hoffnung zu entwickeln, die mehr ist als eine vage Sehnsucht. Mystik besteht in jedem Fall darin, Fragen zu stellen – aber auch sich selbst fragen zu lassen. Glauben ist keine Einbahnstraße, deshalb kann der Mystiker auch nicht im reinen Innerlichen verbleiben und sich der Welt entziehen.
Der Ort, an dem Innerlichkeit und Handlung zusammenwirken, ist für Gotthard Fuchs in erster Linie das Gebet. Gerade im Bittgebet zeigt der Betende, dass er nicht nur auf das Mögliche setzt, das er selber tut, sondern Gott auch noch das Unmögliche zutraut. Natürlich bleibt es aber Gottes Freiheit überlassen, auf welche Art und Weise er das Gebet erfüllt. Die intensivste Gebetserfahrung überhaupt hat Jesus am Ölberg gemacht, und an diesem Beispiel können wir lernen, dass es im Gebet letztlich darum geht, Gottes Willen auch zum eigenen zu machen.
Mystik soll den Menschen auch nicht vor Gott einsam machen – Gotthard Fuchs betont mehrfach, dass der Glaubende im Christentum ja immer bezogen und verwiesen ist auf die Gemeinschaft mit anderen Glaubenden, ja letztlich mit allen Menschen. So sind für uns natürlich auch die mystischen Einsichten wertvoll, die andere Menschen bereits durch alle Epochen hindurch gemacht haben. Den meisten Leserinnen und Lesern kommt es jedoch wohl entgegen, dass Gotthard Fuchs vor allem drei Frauen des 20. Jahrhunderts mit ihren Erfahrungen immer wieder anführt: Simone Weil, Edith Stein, Madeleine Delbrêl.
Das Buch besteht aus kurzen Abschnitten, die ursprünglich als in sich abgeschlossene Kolumnen verfasst wurden, so sind sie leicht und relativ unabhängig voneinander zu lesen, weil sie bereits ab dem zweiten Kapitel immer wieder erhellende Lichter auf den Alltag werfen – und so in jeder Hinsicht alltags-tauglich sind.
Als „Religiöses Buch des Monats“ benennen der Borromäusverein, Bonn, und der St. Michaelsbund, München, monatlich eine religiöse Literaturempfehlung, die inhaltlich-literarisch orientiert ist und auf den wachsenden Sinnhunger unserer Zeit antwortet.
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