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31. März 2022

Die Erbärmliche und das Erbarmen

Kommentar zum 5. Fastensonntag von Mathias Schiltz (3.4.2022)

Am vergangenen Sonntag haben wir die Bildrede vom verlorenen Sohn und vom barmherzigen Vater vernommen, in dessen Gestalt Jesus uns den Allerhöchsten und Allmächtigen, den Schöpfer und Urgrund allen Seins, seinen Vater, als Gott der immer währenden Liebe und der endlosen Vergebung vor Augen stellt.

Auch heute tritt Jesus als Lehrer auf – im Tempel, dem Haus seines Vaters (Lk 2,49). Und er verkündet dieselbe Botschaft des Erbarmens, die den Schriftgelehrten und Pharisäern schon lange ein Dorn im Auge ist. Wiederholt haben sie versucht Jesus in Streitgesprächen eine Falle zu stellen, ihn in Widersprüche zu verwickeln, der Untreue gegen das Gesetz oder gar der Gotteslästerung zu beschuldigen. Erfolglos.

Ein dramatisches Dilemma

Heute aber wird ihnen eine einzigartige Gelegenheit beschert, ihr Ziel zu erreichen. Diesmal wird der Rabbi aus Galiläa seinen Kopf nicht aus der Schlinge ziehen. Sie schleppen eine Frau herbei, die eben beim Ehebruch ertappt worden war, in flagranti. Am Tatbestand ist nicht zu rütteln. Und auch die Rechtslage ist kristallklar. Nach dem Gesetz des Mose ist sie zu steinigen. „Meister, was sagst du dazu?

Einschneidender könnte die Frage nicht sein. Jesus ist in einer dramatischen Lage, er steht vor einem furchtbaren Dilemma. Soll er die sonst von ihm gepredigte und gelebte Barmherzigkeit aufgeben oder soll er dem Gesetz des Mose widersprechen? Da bückt sich Jesus nieder und schreibt mit dem Finger auf die Erde. Will er Zeit gewinnen? Ringt er um eine Antwort? Schließlich richtet der Herr sich auf und spricht das entscheidende Wort: „Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als erster einen Stein auf sie“. Damit hat er die Ankläger bloßgestellt. Beschämt schleichen sie davon. Jesus bleibt allein mit der Frau zurück. Augustinus hat dazu das theologisch treffende Wort geprägt: „Zurückgeblieben sind zwei: die Erbärmliche und das Erbarmen“.

Erbarmen und Umkehr

Nun kann Jesus in seiner göttlichen Vollmacht das letzte Wort sprechen und an der Frau Erbarmen walten lassen. „Hat dich keiner verurteilt?“ – „Keiner Herr“ – „Auch ich verurteile dich nicht. Geh hin, sündige von jetzt an nicht mehr“. Gerade dieser letzte Satz darf nicht übersehen werden. Verzeihen bedeutet nicht gutheißen. Barmherzigkeit ist keine Verharmlosung der Sünde. Sie ist Vergebung, Geschenk, Auftrag und Verpflichtung zu einem Neuanfang in der Umkehr. Doch „Gott selbst ergreift die Initiative, er ermöglicht den neuen Lebensraum. Die Umkehr des Menschen ist nicht Voraussetzung, sondern Konsequenz des Handelns Gottes“ (Franz Kamphaus). „Lebensumkehr ist nicht mehr Vorbedingung für Heilserlangung, sondern Folge und Frucht des umsonst geschenkten Heils, des Geliebt-und Angenommen-seins durch Gott“ (Hans Kessler). „Unsere Umkehr und unser Neubeginn sind eine Folge dieser vorleistungsfreien Liebe Gottes, nicht aber eine Bedingung dafür, dass er uns annimmt und liebt“ (Felix Evers).

Wer ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein

Oder: Wer im Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen werfen. So könnte man die Zurechtweisung der Pharisäer und Schriftgelehrten volkstümlich übersetzen. Aber diese ist mehr als eine Klugheitsregel; sie ist ein radikales Veto. Wer selbst als Sünder unter dem Gericht Gottes steht, darf sich nicht anmaßen, einen anderen Sünder zu richten. Das ist ein Verbot, das uns allen gilt. Denn allzu behänd sind wir – im kleinen Kreis wie im öffentlich-gesellschaftlichen Raum – Menschen, die sich verfehlt haben, endgültig, unwiderruflich und hoffnungslos zu verurteilen.

Mathias SCHILTZ
mathias.schiltz@cathol.lu
 
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