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Regard protestant, orthodoxe, israélite  
2. September 2017

Christliche Gelassenheit

Regard protestant von Volker Strauss (03.09.2017)

Paul Tillich, ein großer evangelischer Theologe sagte: „Der erste Schritt auf dem Wege, stark zu werden, besteht darin, sich die eigene Schwäche einzugestehen und sie auf sich zu nehmen.“ Dazu gehört ganz konkret, die positiven Lebensenergien und Quellen in uns selber immer wieder freizusetzen, auch an Problemen und Konflikten menschlich und geistlich zu wachsen, die Tiefenschichten unseres Lebens neu zu entdecken und zu berühren.

Wir erinnern uns dabei, dass wir stärker denn je der heilenden Kraft einer verinnerlichten, kontemplativen Lebenshaltung bedürftig sind. Das meint nicht nur Gebet und Religion. Es geht um die Tiefen-Dimensionen unseres Lebens überhaupt, um eine Lebenskultur, welche das Herz und die Sinne schärft für das, „was uns unbedingt angeht“, für Grunderfahrungen und Werte, die unserem Leben Sinn und Bestand geben. Dazu gehört die Erfahrung, angenommen und geliebt zu sein, angesehen zu werden mit dem, was ich bin, ersehne, erhoffe anstatt beurteilt zu werden nach dem, was ich habe, leiste, produziere. „Das was mich unbedingt angeht“, so hat Paul Tillich Gott einmal umschrieben: den Gott der Bibel, der sich als Liebe, Erbarmen, Beziehung offenbart. Es gibt nichts, was Gott ähnlicher ist, als die Stille, aber in dieser Stille entsteht und wächst nicht die selbstbezogene Einsamkeit, sondern Beziehung: Beziehung zu Gott, zu Jesus Christus, zur Welt und Schöpfung, zum Menschen.

Der Weg Gottes ist der Mensch, in beiderlei Richtung. Ein solcher Durchblick kann heilen: Er ist freundlich zum Leben. Er zeigt mir das Nebensächliche, Überflüssige und Entbehrliche meines Lebens, er warnt vor dem Gefährlichen, Zerstörerischen, ja Tödlichen meines Verhaltens. Er öffnet den Blick dafür, was mich wirklich sinnvoll leben lässt, was Mitte und Fundament meines Lebens sein kann. Dabei ist weniger oft mehr. Wer bei der Fahrt auf dem Meer seines Lebens den Überblick verloren hat, dem hilft nicht krampfhaftes Rudern, sondern ein Blick auf den Kompass!

Dabei wird auch ein rätselhaftes Jesus-Wort klarer: „Nur wer lassen kann, sogar sein Leben, wird sein Leben sinnvoll leben, wird sein Leben gewinnen“. Paul Tillich steht für mich da auch als ein glaubwürdiger Zeuge, des Lassen Könnens – der sein Land auf politischen Druck 1933 verlassen musste. Der übers Meer kommend, in den USA einen Neuanfang wagte. Der immer wieder bereit war, sich in seinem Theologietreiben in wacher Zeitgenossenschaft mit der Welt, mit Kunst und Kultur zu verbinden, aber nicht bereit war, sich dem Zeitgeist anzubiedern. Solcherart - Lassen meint dabei durchaus die aktive Bereitschaft, das Mögliche und Notwendige selber zu tun, zugleich aber eben auch die Bereitschaft, sich unverhofft und gnadenhaft beschenken zu lassen: „Das heilende Wort kannst du dir nicht selber sagen!“, ist eine tief erfahrene Lebensweisheit.

(Christliche) Gelassenheit führt uns zu der Fähigkeit, in einem besonderen Sinne lebendig zu werden, sorgfältig zu schauen, tiefer zu empfinden, mit uns selber und mit der Welt auf eine Weise in Beziehung zu kommen, die wir bisher vermieden haben. Jesus selber kehrte von seinen Begegnungen mit dem Vater in der Einsamkeit von Berg oder Wüste (Mt 14,23) stets anders und gestärkt in die Menge der Armen, Kranken und Hilfesuchenden zurück. In der griechischen Orpheus-Sage segelt Iason mit seinen Gefährten, den Argonauten nach Kolchis am schwarzen Meer. Sie wollen das „Goldene Vlies“ erringen, das von einem Drachen bewacht wird. Als Iason im Kampf mit dem Drachen ermattet und zu unterliegen droht, erscheint Orpheus und beginnt auf seiner Leier zu spielen. Davon wird der Drache so bezaubert, dass er ruhig einschläft und die Argonauten mit dem Goldenen Vlies von dannen ziehen können. Darauf kommt es an. Kontemplation, Stille, Besinnung ist wie die Leier, die unsere Lebensmusik auf einen sanfteren Rhythmus einschwingen lässt und uns tiefe Quellen erschließen kann.

Wer sich auf dem Meer verirrt hat, dem hilft nicht schnelleres Rudern, sondern der Blick auf den Kompass. Denn in der Ruhe liegt die Kraft.

 
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