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What is Christianity? It’s the Holy Spirit!

Kommentar zum Sonntag der Taufe des Herrn von Jean-Marie Weber (12.1.2025)

Provokant wie immer gibt Slavoj Zizek seine Definition des Christentums. Der Heilige Geist ist für ihn dort, wo Menschen in Liebe und egalitär miteinander Krisen bewältigen. Damit kommt Zizek der Vorstellung des Joachim von Fiori vom «Reich des Geistes» nahe. Doch schauen wir, was der Evangelist Lukas dazu sagt.   

Lukas entwickelt aus seinem Glauben heraus eine Geschichte Jesu, die er in den damaligen weltpolitischen Kontext des Römerreiches stellt. Letztlich geht es ihm darum, seinen Lesern die Zeitenwende bewusst zu machen. Tatsächlich lebten viele Juden zur Zeit Jesu in einer Sinnkrise, welche die Erwartung des Weltendes begünstigte. Sie waren gespalten zwischen Römern, Herodes, Pharisäern, Essenern, Sadduzäern, der Tempelaristokratie und Erneuerungsbewegungen. Wie gefährlich solche Krisen auf individueller und kollektiver Ebene sein können, wissen wir zur Genüge: Zweifel an bisherigen religiösen und politischen Diskursen, Konsumismus, Depression oder verschwörungstheoretisch begründete Aggression können die Folgen sein. Alles Symptome eines Konfliktes, der nach Lösungen ruft.

Angesichts dieser Krise rief Johannes der Täufer die Menschen ganz «konservativ» zu einer radikalen Umkehr auf. Er war eher rückwärtsgewandt auf die begangenen Verfehlungen fixiert. Kein Wunder, sein Gottesbild war noch stark geprägt von einem allmächtigen, strengen und richtenden Gott, der wohl bald sichtbare Zeichen setzen wird. Irgendwie scheint Johannes aber auch zu denken, dass diese Rede nicht unbedingt die Lösung bringen wird. So sieht es jedenfalls Lukas, und er hat wohl Recht. Es braucht eine Zeitenwende, eine neue Ordnung, einen neuen Diskurs.

Deshalb kündigt der Täufer einen «Stärkeren» an, der mit Geist taufen wird. Ob Jesus selbst mit Wasser getauft hat, ist umstritten, da der Evangelist Johannes dazu widersprüchliche Aussagen macht. (Vgl. dazu Joh. 3,22; Joh. 4,1-3) Aber Widersprüche haben bekanntlich ihren Sinn. So können wir davon ausgehen, dass die rituelle Taufe nicht das Wesentliche im Projekt Jesu war. Wie ist das zu verstehen?

Von Begehren, Wort und Geist

Als Subjekte entwickeln wir unser eigenes Begehren und Wollen durch das Begehren unserer Eltern, Lehrern, Freunden, spirituellen Menschen. Sie geben uns durch ihre Lebensweise Zeugnis und ermutigen uns, im Vertrauen auf das Leben unseren Weg zu suchen und zu gehen. Aber auch ihre Worte prägen uns zum Guten, leider manchmal auch zum Schlechten. Bewusst und unbewusst knüpfen wir aus solchen Worten ein unsichtbares Netz. Es gibt uns Sicherheit. Allerdings kann es uns je nach Worten auch nach unten ziehen und traumatisieren.

Wie Menschen uns durch ihren Bezug zum Leben prägen, ist ein geistiger Prozess, der uns oft erst im Nachhinein bewusst wird. So können wir jemandem manchmal erst nach Jahren sagen, wie wichtig sein Engagement, seine Lebenseinstellung oder seine Worte für uns waren. Die Jünger Jesu haben wohl solche Erfahrungen gemacht.

Jesu geistliches Wirken

In diesem Zusammenhang diskutierte ich mit einem Kollegen, wie die rasche Ausbreitung des Christentums zu erklären sei. Irgendwie waren wir uns bei allen Unterschieden einig, dass sich die Menschen zur Zeit Jesu nach jemandem sehnten, der ihre Lebenszuversicht und ihre Sehnsucht weckte. Und das geschah sowohl durch Jesus als auch durch die ersten christlichen Gemeinden mit ihren vielen Charismen.

Irgendwie muss es die Botschaft Jesu, dass der Glaube Freiheit ist (Karl Jaspers), die Seele der Menschen weit geöffnet haben. Sie fühlten sich mit ihren Sorgen und Fragen ernst genommen. Es war schon die offene Art, mit der er auf die Menschen zuging und ihre Sehnsucht nach Heil und einem anderen Diskurs ansprach. So konnte sich ein neues Verhältnis des Menschen zu sich selbst als geistigem und leiblichem Wesen entwickeln. In solchen Begegnungen kündigte sich nicht nur ein neues Gottesverständnis an, sondern auch eine neue Möglichkeit des Subjektseins. Eine theologische und anthropologische Wende also.

Ähnliche Erfahrungen finden sich bereits im Ersten Testament, allerdings im Zusammenhang mit Berufungen. So berichtet Ezechiel, dass Gott zu ihm sprach: «Stelle dich auf deine Füße, Menschensohn, ich will mit dir reden. Und da er solches mit mir redete, kam der Geist in mich und stellte mich auf meine Füße. Und ich hörte den, der mit mir redete.» (Ez. 2,1-2) Wie das konkret geschah, ist nicht so wichtig. Wichtig ist, dass Ezechiel durch das Wort Gottes aufgerufen wird, als Einzelner Stellung zu beziehen.

Jesu Anliegen ist es, den Menschen im realen und im übertragenen Sinn zum «aufrechten» Stehen und Gehen zu verhelfen (Ernst Bloch, Hellmut Gollwitzer). Dabei begegnet er den Menschen trotz ihrer psychischen und physischen Gebrechen auf Augenhöhe. Er setzt auf ihre Sehnsucht und ihr Vertrauen in das Leben, in das unbegreifliche Reale, in Gott. Seine Botschaft vermittelt er vor allem im Gespräch, oft in harter Auseinandersetzung. Dabei fördert er das individuelle Wünschen, Denken und Wollen seiner Gesprächspartner. Gleichnisse ermöglichen den Menschen, sich ihrer seelischen, religiösen und weltanschaulichen Blockaden bewusst zu werden. Ohne auf das Geistige im Menschen zu setzen, wären wohl auch die notwendigen Sublimierungs- und Wandlungsprozesse, etwa vom Aggressionstrieb zur Feindesliebe, nicht möglich gewesen. (Gerd Theißen)

Jesu Tod und der Heilige Geist

Mit dem Tod Jesu beginnt für seine Jünger eine neue Zeit. Die Leere ermöglicht die Offenbarung eines neuen Geistes. Wie die Apostelgeschichte erzählt, werden die Jünger an «Pfingsten» im wahrsten Sinne des Wortes mündig. Als Zeugen übernehmen sie Verantwortung für die Weitergabe der Botschaft Jesu. Verantwortung zu übernehmen ist nicht selbstverständlich. Darum spricht Lukas angesichts der Glossolalie vom Geist, der die Einzelnen bewegt. So können viele die Botschaft Jesu weiterentwickeln und lebendige Gemeinschaften erproben.

Bei aller Begeisterung war das sicher nicht einfach. Denn dieser «Heilige Geist» steht für Offenheit, für ein gegenseitiges Teilen der Worte Jesu und für eine nie endende Suche nach der Wahrheit, gerade auch im Blick auf die eigene Sehnsucht. Christen, die in diesem Geist leben, stellen bis heute immer wieder neue Fragen. Sie verabschieden sich von totalem Wissen, identitärem Denken und Einheitsdiskurs. Sie akzeptieren die „Vielfalt der Sprachen“ oder Perspektiven und verstehen Liebe als Teilen des Mangels. Durch sie kann ein Feuer ausbrechen, das die Fesseln erstarrten Redens und Handelns in sich selbst und in der Gesellschaft verbrennt. Das Wort Heiliger Geist meint also genau das Gegenteil von Geist als ideologischem Lückenbüßer. Lassen wir uns also inspirieren!

 

 

 

 

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