50 Jahre Kampf für das ungeborene Leben
Mit dem Jubiläumsband „50 ans pour la Vie naissante“ legt André Grosbusch, Präsident der ASBL Vie Naissante und Historiker, eine engagierte Chronik vor, die sich zwischen Zeitzeugenschaft, Selbstvergewisserung und gesellschaftspolitischem Kommentar bewegt.
Das Buch „50 ans pour la Vie naissante“ erscheint zu einem Zeitpunkt besonderer Brisanz: Während Luxemburg sich anschickt, den Schwangerschaftsabbruch als Grundrecht in der Verfassung zu verankern, blickt die Vereinigung, die für das Lebensrecht jedes Ungeborenen eintritt, auf ein halbes Jahrhundert ihres Bestehens zurück. Dieser zeitliche Gleichklang verleiht der Publikation zusätzliche politische und moralische Schärfe. Die Veröffentlichung versteht sich weder als neutrale historische Studie noch als bloße Jubiläumsschrift. Wie Grosbusch im Vorwort offenlegt, ist sie zugleich Zeitzeugenbericht, gesellschaftskritisches Plädoyer und historische Reflexion. Dokumentiert wird das jahrzehntelange Engagement von Frauen und Männern, die aus ethischen, religiösen oder humanistischen Überzeugungen heraus den Schutz des ungeborenen Lebens mit konkreter sozialer Hilfe verbinden wollen. Dass der Text Position bezieht, ist kein Makel – im Gegenteil: Gerade darin liegt seine argumentative und dokumentarische Stärke.
Auf 172 Seiten zeichnet das Buch die Entstehung und Entwicklung der ASBL Vie Naissante historisch präzise und mit reichhaltigem zeitgeschichtlichem Kontext nach. Die Darstellung ist in vier Hauptteile gegliedert und wird ergänzt durch einen umfangreichen Dokumentenanhang sowie ein kleines Fotoalbum. Der erste Teil verortet die Vereinsgründung Mitte der 1970er-Jahre im Umfeld der vierten Luxemburger Diözesansynode, einer Phase kirchlichen und gesellschaftlichen Aufbruchs. Zugleich war die Gründung eine Reaktion auf kirchliche Versäumnisse ebenso wie auf den Gesetzesentwurf zur Legalisierung der Abtreibung durch die damalige LSAP-DP-Regierung. Deutlich wird, wie stark der Widerstand gegen dieses Vorhaben im katholischen Milieu verankert war und wie breit die Unterstützung reichte – bis hinein in medizinische Fachkreise und staatliche Institutionen.
Von Beginn an zieht sich ein zentrales Leitmotiv durch die Geschichte der Vereinigung: Die Gründer um den Arzt Leo Mischo und den Priester sowie Seminarprofessor Paul Weber wollten sich nicht auf moralische Ablehnung beschränken, sondern praktische Hilfe leisten. Schwangerschaftskonfliktberatung, materielle Unterstützung, Fundraising und politische Sensibilisierung gehörten von Anfang an zum Selbstverständnis der ASBL. Früh erkannten die Verantwortlichen, dass ein reines Abtreibungsverbot ebenso in eine Sackgasse führen könne wie eine weitgehende Legalisierung in die moralische Normalisierung. Prävention und Unterstützung – nicht Verurteilung – wurden zum erklärten Ziel.
Der zweite große Abschnitt ist eng mit dem Namen des Gynäkologen Joseph Mersch verbunden, der die ASBL ab Ende der 1980er-Jahre nachhaltig prägte. Seine Präsidentschaft steht für eine Phase der Professionalisierung, aber auch für institutionelle Brüche, etwa bei der zeitweiligen Zusammenarbeit mit dem Staat und der späteren Trennung von der neu gegründeten Organisation „Neit Liewen“. Die Darstellung bleibt sachlich und ungeschönt und würdigt zugleich die bemerkenswerte Kontinuität des Engagements – sei es in der Beratung, in der Kleiderstube oder in der öffentlichen Präsenz, etwa durch Merschs langjährige Radiosendungen und die Sonderseiten im Luxemburger Wort.
Generationenwechsel unter André Grosbusch und Marie-Josée Frank
Das dritte Kapitel markiert einen Generationenwechsel. Unter der neuen Leitung von André Grosbusch und Marie-Josée Frank, getragen von einem breiten Team aus Ehrenamtlichen und Fachkräften, bleibt der Schwerpunkt auf konkreter Hilfe bestehen, ergänzt durch verstärkte Öffentlichkeitsarbeit und internationale Vernetzung. Besonders anschaulich geraten die Passagen über den Alltag sozialer Unterstützung: Beratungsgespräche, materielle Hilfen für Mütter und Kooperationen mit anderen Akteuren im Sozialbereich. Hier entfaltet das Buch seine größte narrative Dichte.
Gleichzeitig verschweigt die Publikation nicht, dass sich das politische Klima deutlich verschärft hat. Die Reform von 2014 und der Paradigmenwechsel hin zu einem „Recht auf Abtreibung“ werden als tiefgreifende Zäsur beschrieben, ebenso die jüngsten Kontroversen um öffentliche Zuschüsse und die geplante Verfassungsänderung. Der Ton bleibt nüchtern und sachlich, auch wenn die persönliche Betroffenheit der Autoren spürbar ist.
Der abschließende Teil wagt einen kritischen Rückblick und einen vorsichtigen Ausblick. Sollte der Schwangerschaftsabbruch tatsächlich Verfassungsrang erhalten, so macht das Buch deutlich, stünde die ASBL Vie Naissante vor einer existenziellen Neubestimmung. Konkrete Antworten werden bewusst offengelassen; stattdessen formuliert der Text offene Fragen.
Der historische Teil schließt mit einem Plädoyer für das ungeborene Leben: abgedruckt ist eine engagierte Rede der CSV-Abgeordneten und diplomierten Krankenschwester Marie-Josée Frank aus dem Jahr 2012 vor der Abgeordnetenkammer. Ergänzt wird sie durch zwölf „Vorschläge für das Leben und für eine gerechtere Gesellschaft“, die die zentralen Anliegen des Buches bündeln und zugleich eine programmatische Wunschliste für die Zukunft darstellen.
Das mit großem Sachverstand und spürbarem Engagement verfasste Werk ist weit mehr als eine vereinseigene Jubiläumsschrift. Es ist ein Zeitdokument einer entscheidenden Phase der Luxemburger Gesellschaft. Es erhebt keinen Anspruch auf vollständige Ausgewogenheit, blendet interne Spannungen weitgehend aus und verzichtet auf eine umfassende Einbettung in internationale Debatten. Doch gerade in seiner klaren Perspektive liegt sein dokumentarischer Wert. Wer verstehen will, was die ASBL Vie Naissante war und ist, findet hier eine dichte, gut strukturierte und erstaunlich selbstkritische Darstellung.
Dieses Buch ist ein bewusst christliches Zeugnis. Als solches leistet es einen wichtigen Beitrag zur Geschichte einer Organisation, die über fünf Jahrzehnte hinweg einen klar umrissenen Platz im gesellschaftlichen Gefüge und im kirchlichen Leben Luxemburgs eingenommen hat – und weiterhin einnehmen will. Die schätzungsweise 70.000 bis 100.000 ungeborenen Kinder, die in den vergangenen 50 Jahren in Luxemburg nicht das Licht der Welt erblickten, mahnen uns, diesen Einsatz für das Lebensrecht der Ungeborenen und zur Verbesserung der gesellschaftlichen Aufnahmebereitschaft für Kinder fortzuführen.
André Grosbusch
50 ans pour la vie naissante – Histoire d'un engagement
Imprimerie OSSA, Niederanven, 2025
ISBN : 978-2-87996-215-3
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