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Alles Vermögen verdankt sich dem Mögen

Kommentar zum 3. Ostersonntag von Jean-Marie Weber (4.5.2025)

Normalerweise wollen wir auf Nummer sicher gehen. Glücklicherweise kommt es jedoch zu unvorhergesehenen Ereignissen und Begegnungen. Zuweilen wird dann das Zufällige zum Anlass, sogar zur Notwendigkeit unser Leben neu auszurichten. Wir ändern unsere Perspektive und interpretieren Fakten und ihren Kontext anders. In dem Sinne erzählt uns das Johannesevangelium, wie Jesus seinen Jüngern nach leerem Fang vorschlägt, das Fischernetz mal auf der anderen Seite des Bootes auszuwerfen. Das charakterisierte die Begegnungen mit Jesus. Sie wurden zum Ereignis, da sie neue Sichtweisen, neue Möglichkeiten aufzeigten.

Jesu öffnender Lebensstil hat bis heute viele Menschen geprägt. Zentral dabei ist der Glaube an die Liebe als unendliche und unbegreifbare Quelle: Alles Können, „alles Vermögen ist dem Mögen vereignet und verdankt sich diesem“, notiert M. Heidegger – einfach und religiös zugleich.

Eine außerhalb Palästinas lebende frühchristliche Gemeinde experimentierte damit, nach dem Glauben zu leben, dass Gott Liebe ist (1 Joh 4,16b). Ihre Leitfigur war dabei Johannes, der sogenannte Lieblingsjünger, den sie auch für den Verfasser des Johannesevangeliums hielt. Die Überzeugung, dass aus Liebe Unmögliches möglich wird, wurde zu ihrem Weg, ihrem Lebensstil und ihrer leibhaftigen Wahrheit.

Aus einer Wahrheit heraus leben, braucht einen langen, aber spannenden Transformationsprozess. Das schenkt Selbstvertrauen, ermöglicht Position zu ergreifen und sich zu engagieren. Kinder spüren es schon bei ihren Eltern, Schüler bei ihren Lehrern und Wähler bei Politikern aus welcher Überzeugung und Sehnsucht sie leben, oder eben nicht. Wir merken, wenn jemand aus Begegnungen lebt, die er im Kontakt mit anderen weiter reflektiert und gestaltet.

Davon zeugen die Ostererzählungen. Sie berichten, wie Frauen und Männer ihre Spiritualität in der Zeit nach Jesu unmittelbarer Präsenz vertieften. Die gegenseitige Deutung war ihnen wichtig. So ist Johannes eher der Mystiker, der den Anspruch Jesu rasch erkennt. Dagegen ist Petrus eher derjenige, der daraufhin sofort handelt.

Einen Lebensstil konsequent durchzuziehen, ist nicht einfach. Das wissen wir von Petrus, der aus Angst dreimal leugnete, Jesus zu kennen. Das ist schlimm, denn dadurch verdrängte er auch seinen eigenen Wunsch, Jesus nachzufolgen. Er verneinte somit sich selbst.

Solche Verleugnungen lassen uns nicht in Ruhe. Deshalb erzählt uns das Evangelium davon, wie Petrus sich erneut mit seinem Vertrauen in Jesus und die transformierende Kraft der Liebe auseinandersetzen musste. Ohne solches Durcharbeiten kann ihm keine Autorität anerkannt werden. Weder von Jesus noch von den ersten Christen.

Liebe öffnet und befreit. Aber sie setzt voraus, dass wir uns von ihr ergreifen, «gürten» lassen, wie Petrus erkennen musste. Haben wir uns für sie als Wahrheit entschieden, lässt sie uns nicht in Ruhe; sie trägt und fordert uns heraus.

Kein Wunder, dass wir dabei ähnlich wie Petrus ins Wanken kommen und fragen: Ist es nicht vorsichtiger, sich dem Mainstream zu unterwerfen? Ist es nicht einfach dumm sich an Liebe und Gerechtigkeit zu binden? Profitiert der Nebenmensch, etwa der Lieblingsjünger nicht mehr vom Leben wie ich? Schnell werden solche Fragen zum Vorwand, sich nicht zu engagieren.

Demgegenüber mahnt das Evangelium, sich nicht auf pures Nützlichkeitsdenken einzulassen. Ähnlich spricht M. Heidegger von der „Gelassenheit gegenüber den Dingen”, also der Loslösung von einer Logik des Habens, der Fixierung auf das Seiende. Diese Gelassenheit wird durch unsere „Offenheit für das Geheimnis”, das Unbegreifliche und Unmögliche, gestärkt.

Gelassenheit und Offenheit für das Geheimnishafte machen frei! Diese Haltungen ermöglichen uns, Andersheit zu schätzen. Wir engen uns nicht selbst ein, indem wir voreilig über uns und andere urteilen und Veränderungen ausschließen.

Ein entspanntes Verhältnis nach außen und Pluralität nach innen sind Kriterien der Kirche (G. Theißen). In diesem Sinne hat der verstorbene Papst Franziskus durch den synodalen Prozess dem Dialog und der Vielfalt mehr Chancen eingeräumt.  Auf diesem Weg sollten wir Christen gemeinsam und ohne Angst vor Auseinandersetzungen mutig voranschreiten.

Jean-Marie Weber
Theologe und Psychoanalyst

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